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Eine Revolution auf der Geige: Hilary Hahn spielt die Violinsonaten von Eugène Ysaÿe

HilaryHahn
©ChrisLee
02.08.2023
Mit der Bezeichnung “epochal” sollte man vorsichtig sein, doch beim neuen Album der Geigerin Hilary Hahn ist sie fraglos zutreffend. So ist ihre Einspielung der sechs Sonaten für Violine solo op. 27 von Eugène Ysaÿe die erste überhaupt, die jemals bei Deutsche Grammophon erschienen ist, und setzt Hahn mit ihrer Interpretation dieser ebenso einzigartigen wie fordernden Werke neue künstlerische Maßstäbe. Das Album ist bereits am 14. Juli erschienen und sowohl als CD als auch digital erhältlich.

Eugène Ysaÿe – ein Phänomen

Eugène Ysaÿe war ein künstlerischer Tausendsassa. In seinem Spiel flossen technisches Können und innige Ausdruckskraft kompromisslos ineinander, zudem beherrschte er die Technik des Rubato und gilt als erster moderner Geiger. Dies zeigt sich auch in den zahlreichen Widmungen, die Ysaÿe als begeisterter Verfechter der neuen Musik von Persönlichkeiten wie Franck, Debussy, Saint-Saëns und Chausson erhielt. Dabei war Ysaÿe nicht nur ein begnadeter Geiger, sondern auch ein herausragender Komponist, der – intensiv inspiriert von Johann Sebastian Bach – Werke von außerordentlich virtuosem Anspruch und voll extremer Kontraste schuf. Für Hilary Hahn ist die Kunst Ysaÿes eine gleichsam fordernde und inspirierende Kraftquelle. So sagt sie: “So wie Eugène Ysaÿe von Bach inspiriert wurde, diese sechs Sonaten zu schreiben – und damit einen entscheidenden Meilenstein in der Entwicklung der Violine zu setzen – so bin auch ich von Ysaÿe inspiriert, mich als Künstlerin ständig weiterzuentwickeln und mich ganz in diese Musik zu vertiefen”.

Revolutionär und virtuos: Die sechs Sonaten von Ysaÿe

Ysaÿe komponierte seinen Zyklus von sechs Sonaten im Juni 1923 und dokumentierte in diesen Stücken eindrucksvoll die Veränderungen in der Aufführungs- und Kompositionspraxis, die er zu Lebzeiten miterlebte. So verwendete er in den Sonaten neben seinen eigenen virtuosen Bogen- und Linkshandtechniken eine zeitgenössische musikalische Sprache mit Sechstonakkorden, Ganztonskalen und Mikrotönen. Wie eng sein Draht zur damaligen Szene war, zeigt sich auch daran, dass er jedes Stück einem bedeutenden Interpreten seiner Zeit widmete, darunter Joseph Szigeti, Jacques Thibaud, George Enescu, Fritz Kreisler, Mathieu Crickboom und Manuel Quiroga. Für Hilary Hahn zeugen die sechs Sonaten von Ysaÿe von einem tiefen Verständnis für die Kunst des Geigenspiels und einer bewussten Auslotung der instrumentalen Grenzen. So stellt die Geigerin fest: “In diesen Stücken gibt es eine Ungezwungenheit und auch einen Überschwang. Die Art und Weise, wie Ysaÿe durch die ausdrucksvollen Freiheiten schreibt, entspringt einer sehr tiefen Kenntnis des Instruments. Wo andere Komponisten auf eine Straßensperre stoßen, sieht er einen Weg. Oder er bricht einfach durch die Wand hindurch.”

Ysaÿe und Hahn – eine künstlerische Seelenverwandtschaft

Als Schlüsselwerke der Geigenliteratur begleiten die sechs Sonaten von Ysaÿe Hilary Hahn schon lange. Den 100sten Todestag des Komponisten hat sie nun zum Anlass genommen, sich noch einmal intensiver mit dem Tonschöpfer zu befassen und alle Werke des Zyklus einzuspielen. Als sie Ysaÿes eigene Aufnahmen anhörte, war sie begeistert und geschockt zugleich von der inneren Nähe und der verbindenden “musikalischen DANN” zwischen ihr und dem Komponisten. So sagt sie: “Es war, als würde man auf dem Dachboden der Großeltern herumstöbern, eine Schachtel mit Familienfotos öffnen und sein eigenes Gesicht auf dem Bild eines Vorfahren sehen. Ysaÿes Sinn für Gesten und Timing fühlte sich an wie die Blaupause für das, was ich in den letzten zehn Jahren so hart daran gearbeitet habe, unabhängig und intuitiv in meinem eigenen Spiel zu entwickeln”.

Packend, rauschhaft und inspirierend: Hahns Interpretation der Sonaten

Aufgenommen im Jubiläumsjahr, erlebte Hilary Hahn die Einspielung von Ysaÿes Sonaten als maximal intensiv. “Diese Sonaten sind wahrhaft hypnotisch, und wenn wir den Tag beendeten, trat ich wie benebelt in die Winterluft, mein Gehirn reharmonisiert von den Tonalitäten, die durch meinen Kieferknochen vibriert hatten: ein Klangbad, wenn es je eines gab”, so Hahn. Diese Intensität, Kompromisslosigkeit und Hingabe spiegeln sich eindrucksvoll auf dem Album wieder. Dabei fasziniert nicht nur die vollendete Virtuosität, mit der die Geigerin den pulsierenden Grundcharakter und die extremen Klangschichtungen der Meisterwerke wiedergibt. Darüber hinaus besticht Hahns Spiel mit ungemeiner Kreativität im Ausdruck und ebenso großem Farbenreichtum in der Tongebung. Eine tatsächlich epochale Aufnahme.

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