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Portfolio der Nachtgedanken – Nelson Freire spielt Chopin

Nelson Freire
© Decca/James McMillan
02.03.2010
Die Nacht ist eine rätselhafte Zeit. Was vom Tage übrig bleibt, zerfällt nicht selten in Rhapsodisches, Melancholisches, Nachdenkliches, manchmal sogar in Gefährliches. Kein Wunder, dass dieser Zeitraum den Romantiker im Besonderen interessierte und faszinierte. Dieser Zeitraum bekam sogar eigene Musikstücke zugeeignet, welche diesen speziellen Charakter unterstrichen. Solche „Nocturnes“ sind Albumblätter zwischen den Gattungen, persönlich und zugleich Ausdruck eines übergreifenden Gefühls. Und sie gehören zu den beeindruckendsten Stücken, die Frédéric Chopin geschaffen hat, die ihre magische Kraft entfalten, wenn ein Meister des Farbenspiels wie Nelson Freire sie spielt.
Als orchestrale Form eines Nachtstücks gab es das Notturno schon im 18. Jahrhundert. Damals verstand man darunter ein der Serenade ähnliches, in der Regel mehrsätziges Instrumentalwerk, das bei Haydn und Mozart vor allem als unterhaltsame Komposition für Bläser gepflegt wurde. Darüber hinaus kannte man einsätzige Gesangsstücke mit oder ohne Instrumentalbegleitung, inspiriert etwa von nächtlichen Opernszenen. Zur eigenständigen Form aber wurden sie erst in der Romantik. Als Pionier des „Nocturnes“ gilt beispielsweise der irische Pianist und Komponist John Field, der mit solch verträumten Miniaturen die Salons und Konzertsäle des frühen 19. Jahrhunderts begeisterte. Von ihm ließ sich auch der junge Frédéric Chopin inspirieren, wenn er auch bereits in den ersten Kompositionen dieser Art weit über das hinausging, was der zeitgenössische Kollege wagte.
Schon das erste „Nocturne op.9, Nr.1“ etwa fällt gestalterisch aus dem Rahmen der Klaviermusik der Metternich-Ära, besonders wenn man es mit jenem ausgeprägtem Rubato spielt wie der brasilianischen Pianist Nelson Freire. Hier scheinen zwei völlig verschiedene Melodien in der linken und rechten Hand zu existieren, die ein unabhängiges Klangleben führen, dann aber mit weitsichtiger Souveränität zusammengeführt werden. Überhaupt zeichnet sich die erst vor wenigen Wochen im Dezember 2009 entstandene Gesamteinspielung der „Nocturnes“ von Nelson Freire durch eine faszinierende rhythmisch-strukturelle Übersicht aus, die gerade der linken Hand nie eine nur vordergründig begleitende Funktion zuspricht, sondern die Kompositionen als Kommunikation miteinander in enger Verbindung stehender Stimmen versteht und sie daher sprechen, singen, schweben lässt.
Freire, der bereits während der vergangenen Wochen und Monate mit ungewöhnlich sensiblen Interpretationen von Chopin-Etüden, aber auch von den „Préludes“ von Claude Debussy Aufsehen erregt hatte, schafft damit etwas ebenso Ungewöhnliches wie Überraschendes. Denn unter seinen Fingern entwickeln die „Nocturnes“ eine rätselhafte Kraft, die sich nur aus der Musik selbst ergibt. Er würdigt mit dem Esprit eines Menschen, zu dessen Klangkultur Heitor Villa-Lobos ebenso gehört wie João Gilberto, diese sehr intime Passage aus dem Oeuvre Frédéric Chopins als ein Skizzenbuch eines begnadeten Melodikers, der vieles vorweg genommen und zu einem vorläufigen Höhepunkt geführt hat, was spätere Nachfahren vom Impressionismus bis hin zu den Genies der Improvisationskunst beschäftigen sollte.
Weitere Infos zu Nelson Freire auf seiner Künstlerseite bei KlassikAkzente.de

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