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Tore in die weite Welt – Das neue Album des Shanghai Symphony Orchestra

Long Yu
© Sophie Zhai
26.06.2019
Die Begeisterung für die klassische Musik des Westens wächst in China stetig. Umgekehrt blickt auch der Westen mit gesteigerter Neugierde auf den ostasiatischen Riesen, dessen kulturelle Tiefe und wirtschaftliche Dynamik Respekt abnötigen. Das Shanghai Symphony Orchestra ist in dieser Situation ein wichtiges Bindeglied zwischen den Kulturen. Das noble Musikensemble aus Chinas größter Finanz- und Kulturmetropole, in der heute über 26 Millionen Menschen leben, feiert in diesem Jahr sein 140-jähriges Bestehen und blickt mit Stolz auf eine fruchtbare Tradition der intensiven Pflege westlicher Musik. 
Im Vorjahr unterzeichnete das Orchester, das unter seinem Stardirigenten Long Yu zu einem Klangkörper von Weltrang herangereift ist, einen Exklusivvertrag bei Deutsche Grammophon und schlug damit ein neues Kapitel in seiner Geschichte auf. Jetzt erscheint mit “Gateways” das erste Album einer vielversprechenden Serie, die den Schwerpunkt auf herausragende Werke chinesischer Komponisten legt.       

Tore zwischen Ost und West

Das Album macht seinem Titel alle Ehre. “Gateway” bezeichnet in der Computersprache eine Komponente, die zwei Systeme miteinander verbindet. Es handelt sich um eine Art Tor, das in beide Richtungen durchschritten werden kann. Mit Orchesterwerken von Qigang Chen, Fritz Kreisler und Sergei Rachmaninow öffnet das Shanghai Symphony Orchestra in der Tat viele Tore, die höchst unterschiedliche Musikkulturen miteinander verbinden und in ihrem wechselseitigen Einfluss erlebbar machen. So merkt man Rachmaninows “Sinfonischen Tänzen”, die das chinesische Spitzenorchester mit vulkanischer Energie spielt, die amerikanischen Jahre des russischen Komponisten an, der seine östlichen Wurzeln gleichwohl nie verlor.  

Stargeiger Maxim Vengerov

In Fritz Kreislers beschwingt-virtuosem “Tambourin chinois” zeigen sich hingegen chinesische Einflüsse. Der austroamerikanische Geigenvirtuose komponierte das Werk im Jahre 1910, kurz nachdem er in San Francisco ein chinesisches Theater besucht hatte. Kreisler verarbeitete seine Eindrücke spontan, ohne chinesische Musik systematisch studiert zu haben. Aber China faszinierte ihn. So trat er zum Beispiel auch beim Shanghai Symphony Orchestra auf, das ihm jetzt mit seiner entfesselten Interpretation des “Tambourin chinois” ein posthumes Denkmal setzt. 
Kreisler hatte sein Stück für Geige und Klavier komponiert. Das Orchester von Long Yu spielt ein Arrangement für Geige und Orchester von Clark McAlister. An der Violine ist der russische-israelische Stargeiger Maxim Vengerov zu erleben, dessen technische Virtuosität und poetische Einfühlungsgabe beeindrucken.  

Phantasievolle Klangsprache

Maxim Vengerov ist ein musikalischer Individualist par excellence. Er liebt ungewöhnliche Pfade und qualifiziert sich damit hervorragend für die phantasievolle Klangsprache von Qigang Chen, der dem eigenwilligen Geiger sein hochgespanntes Violinkonzert “La Joie de la souffrance” (2017) widmete. Das Werk richtet die Aufmerksamkeit auf den emotionalen Reichtum des menschlichen Leidens, dem der Komponist musikalisch beizukommen sucht. Dabei nimmt Vengerovs Solopart eine Schlüsselfunktion ein. Der Geiger meditiert zu dem farbenreichen Orchestersatz von Qigang Chen ein breites Spektrum von Stimmungen. Es reicht von expressiven Heftigkeiten bis hin zu sanften lyrischen Gesten mit versöhnlicher Anmutung. 
Impressionistisch angehaucht ist Chens sphärische Orchestersuite “Wu Xing/The Five Elements” (1998/99). Das Werk verknüpft Elemente der chinesischen Volksmusik mit Stilmitteln der westeuropäischen Avantgarde. In der Interpretation des Shanghai Symphony Orchestra entfaltet die programmartige Suite, die in chinesischer Tradition um die Elemente Wasser, Holz, Feuer, Erde und Metall kreist, eine beinahe hypnotische Wirkung.
Dass Long Yu sein Albumprojekt mit Qigang Chen startet, dürfte kein Zufall sein. Der chinesisch-französische Avantgardist, der einer der letzten Meisterschüler des großen musikalischen Neuerers Olivier Messiaen war und zu den meistaufgeführten Komponisten der Gegenwart zählt, verbindet auf elegante Weise unterschiedliche Kulturen in einer Person. Das gilt auch für Long Yu, der Ost und West miteinander ins Gespräch bringen möchte. Der Dirigent betrachtet dies als einen emotionalen Prozess, wie er jüngst in einem hörenswerten Podcast mit Holger Wemhoff hervorhob. 
Zeitgleich erscheint unter dem Titel "Great Recordings” eine Auswahl an Einspielungen aus der Aufnahme-Geschichte des Shanghai Symphony Orchestra unter Long Yu in einer digital Sammlung.

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