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Leonard Bernsteins symbolischer Beethoven

Leonard Bernstein © Arthur Umboh / DG
© Arthur Umboh / DG
27.05.2009
Das Jahr 1989 war ein Jahr der großen Gesten und Gefühle. Kaum jemand hatte sich noch Monate zuvor träumen lassen, dass eine politische Weltordnung, die über fast ein halbes Jahrhundert hinweg  Europa geprägt hatte, gewaltfrei sich auflösen und Perspektiven für eine freiere, demokratischere Zukunft freisetzten würde. Und doch geschah es und die ganze Welt blickte auf Berlin, das zum Symbol dieser veränderten Zeit wurde. Für Leonard Bernstein, den großen Dirigenten und Advokaten der sich auf Kunst stützenden Menschlichkeit, war es daher keine Frage, dass auch er seinen Teil dazu beitragen wollte, diese knospende Entwicklung mit einem musikalischen Zeichen zu unterstützen. Und so dirigierte er an Weihnachten 1989 am ehemals Ostberliner Schauspielhaus Beethovens Neunte und deutete kurzerhand die „Ode an die Freude“ in die „Ode an die Freiheit“ um – ein sensationelles Konzert, dessen Mitschnitt nun anlässlich des 20.Jahrestages des Mauerfalls und des 60 Geburtstages der Bundesrepublik Deutschland auf CD erscheint.

Für Leonard Bernstein war es ganz klar, dass Freunde und Freiheit eng zusammenhängen. In einem Geleitwort zur Erstveröffentlichung seiner Konzerts merkte der Dirigent damals an: „Es scheint eine Vermutung gegeben zu haben, dass Schiller neben der Ode ‘An die Freude’ einen weiteren Entwurf dieses Gedichtes mit dem Titel ‘An die Freiheit’ verfasst haben soll. Die meisten Forscher sind heute jedoch der Meinung, dass es sich dabei wahrscheinlich um einen Schwindel handelt, dessen Urheber Friedrich Ludwig Jahn gewesen ist. Ob wahr oder nicht – ich glaube, dies ist ein Augenblick, den der Himmel gesandt hat, um das Wort ‘Freiheit’ immer dort zu singen, wo in der Partitur von ‘Freude’ die Rede ist. Wenn es je einen historischen Augenblick gegeben hat, in dem man um menschlicher Freude willen eine akademische Theorie-Diskussion vernachlässigen darf – jetzt ist er gekommen, und ich bin sicher, dass Beethoven uns seinen Segen gegeben hätte. Es lebe die Freiheit!“

 Damit traf Leonard Bernstein durchaus den Geist der Stunde, denn anno 1989 ging es durchaus darum, das zusammen wachsen zu lassen, was bislang nicht zusammen gehören durfte. Das Konzert, das parallel zu einer Aufführung von Justus Franz im Westteil der Stadt, im ehemals ostberliner Schauspielhaus stattfand, wurde aber noch im mehrfacher Hinsicht symbolträchtig. Da war zunächst der Aufführungsort, das ehemals Königliche Schauspielhaus, einst gebaut nach Plänen von Karl Friedrich Schinkel und nach dem Zweiten Weltkrieg aus Ruinen wieder als „Schauspielhaus“ aufgebaut. Zur Eröffnung hatte man am 18.Juni 1821 den „Freischütz“ von Carl Maria von Weber dort uraufgeführt und seitdem hatte es in wechselhafter Geschichte viele Höhepunkte der Kunst erlebt.

Dazu kam ein bewusst multinationales Ensemble, das Musiker des Orchesters des Bayrischen Rundfunks, der Dresdner Staatskapelle, des russischen Kirow-Theaters aus dem damaligen Leningrad, inzwischen wieder in St. Petersburg zurückgetauft, des London Symphony Orchestra, des New York Philharmonic, außerdem des Orchestre de Paris zusammenbrachte, also ehemals Freund und Feind vereinte. Außerdem stand Leonard Bernstein ein erstrangiges Solistenquartett  zur Seite: June Anderson sang mit leuchtender Stimme den Solo-Sopran, Sarah Walker sekundierte präsent und eindringlich mit ihrem ausgereiften Mezzo. Klaus König hatte die herausfordernde Tenor-Partie übernommen, Jan-Hendrik Rootering steuerte die Tiefen seiner herrlichen Bass-Stimme bei. Das Ganze wurde schließlich getragen von dieser besonderen Stimmung des Aufbruchs und Neuanfangs, der nun eine gemeinsam Zukunft Deutschlands und Europas ermöglichte. Für Leonard Bernstein wurde es eines der letzten Konzerte überhaupt, das er dirigierte, denn der Jahrhundertdirigent starb im Oktober 1990. Es wurde aber auch eines seiner eindringlichsten, auf das er mehr als stolz sein konnte.

Mehr Informationen zu Leonard Berstein

LUDWIG VAN BEETHOVEN
(1770–1827)
Symphonie Nr. 9 d-moll op. 125

[1] 1. Allegro ma non troppo, un poco maestoso
[2] 2. Molto vivace
[3] 3. Adagio molto e cantabile
[4] 4. Presto – Allegro assai
June Anderson, Sopran
Sarah Walker, Mezzosopran *
Klaus König, Tenor **
Jan-Hendrik Rootering, Bass

Chor des Bayerischen Rundfunks
Mitglieder der Rundfunkchors Berlin (DDR)
Kinderchor der Philharmonie Dresden
Einstudierung: Wolfgang Seeliger

Symphonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks
und Mitglieder der folgenden Orchester:
Staatskapelle Dresden
Orchester des Kirow-Theaters, Leningrad
London Symphony Orchestra
New York Philharmonic
Orchestre de Paris

LEONARD BERNSTEIN

Mitschnitt des Konzerts am 25.12.1989 im Schauspielhaus, Berlin (DDR)
*     mit freundlicher Genehmigung von EMI Records Ltd
**     mit freundlicher Genehmigung von Philips Classics Productions

DDD (p) 1990 Deutsche Grammophon GmbH, Hamburg

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