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Keith Jarrett – wenn die Gondeln Noten tragen…

Keith Jarrett
Roberto Masotti / ECM Records
18.10.2018
Die Solokonzerte von Keith Jarrett sind für die unzähligen Fans des Pianisten stets etwas ganz Besonderes. Und da bei ihnen fast immer eine Bandmaschine mitläuft, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie eines Tages auch auf einem ECM-Album veröffentlicht werden. Mal dauert dies nur kurze Zeit wie etwa bei den Aufnahmen von “Creation”, die 2014 gemacht wurden und schon ein Jahr später erschienen, mal muss man es etwas länger warten wie bei dem jetzt herausgegebenen Doppelalbum “La Fenice”, das bereits im Juli 2006 im Gran Teatro La Fenice von Venedig aufgezeichnet wurde. Der Schauplatz – eines der berühmtesten klassischen Konzerthäuser Italiens – wird natürlich unweigerlich Erinnerungen an das vor gut zwanzig Jahren erschienene Album “La Scala” hervorrufen, das immer noch zu den meistgeliebten Soloaufnahmen des Pianisten gehört.
Doch jeder von Jarretts größtenteils improvisierten Soloauftritten ist eine Welt für sich, in der der überaus kreative Pianist unablässig neue Formen ans Licht bringt. Für “La Fenice” (“Der Phoenix”) erschuf er aus acht spontan entstandenen Stücken eine inspirierte Suite, in der er alles vom Blues bis zur Atonalität anklingen lässt. Zwischen sechsten und siebten Satz dieser Suite fügt Jarrett dann völlig überraschend eine bewegende Interpretation von “The Sun Whose Rays (Are All Ablaze)” aus Gilbert und Sullivans satirischer Operette “The Mikado” ein. 
Als Zugaben spielte Jarrett bei diesem traumhaften Konzert den irischen Traditional “My Wild Irish Rose” (den er zuvor schon für “The Melody At Night With You” aufgenommen hatte) und den zeitlosen Standard “Stella By Starlight”, den er oft im Trio mit Gary Peacock und Jack DeJohnette aufgriff (nachzuhören etwa auf den Alben “Standards Live” und “Yesterdays”). Das Konzert beendete Jarrett mit dem wunderbaren Stück “Blossom”, das er ursprünglich 1974 mit Jan Garbarek, Palle Danielsson und Jon Christensen für das Album “Belonging” aufgenommen hatte. 
“La Fenice” kann man als krönenden Abschluss einer Reihe von Solokonzerten betrachten, die Jarrett im September 2005 mit einem Auftritt in der Carnegie Hall begonnen hatte. In dem HiFi-Magazin Audio schrieb Matthias Inhoffen damals über das Album: “Das New Yorker ‘Carnegie Hall Concert’ geriet ihm zum Triumph, wie nicht nur die Beifallsbekundungen auf der CD ahnen lassen. Jarrett hat sich solo am Flügel vom Druck des Improvisierens über allzu große Zeitspannen befreit; er wirkt gelöst, konzentriert und sprüht nur so vor Ideen. In einer Art Suite aus zweimal fünf Sätzen plus fünf Zugaben zaubert er die Erdnähe des Blues ebenso aus den Tasten wie die lyrische Delikatesse einer Ballade, und selbst in hektisch-virtuosen Kunststücken fesselt er den Hörer mit Vitalität und Formbewusstsein. Eine Sternstunde in großartig präsentem Live-Klang.”
Die Veröffentlichung des Venedig-Konzerts erfolgt zu einem sehr treffenden Zeitpunkt. Denn 2018 wurde der Pianist  als erster Jazzmusiker überhaupt beim 62. Internationalen Festival für zeitgenössische Musik der Biennale di Venezia mit einem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Zu den bisherigen Preisträgern gehören u.a. zeitgenössische Komponisten wie Luciano Berio, Pierre Boulez, György Kurtág, Helmut Lachenmann, Sofia Gubaidulina und Steve Reich. Dass er selbst auch ein zeitgenössischer Komponist ist, demonstriert Keith Jarrett einmal mehr sehr anschaulich auf “La Fenice”, wo er seine musikalischen Strukturen durch das Medium der Improvisation in Echtzeit gestaltet.
 

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