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Nächtliche Stimmungen – Dénes Várjon spielt Schumann, Ravel und Bartók

Dénes Várjon
Pilvax Studio / ECM Records
30.08.2018
Seine Spezialität sind die Zwischentöne, das, was man leicht überhört oder gar für unbedeutend hält. Dénes Várjon dringt zu den Randzonen der Klavierkunst vor. Er zeigt, dass das Schöne gesucht werden muss, dass es sich im Verborgenen aufhält und das Tageslicht scheut.
Poetischer Grenzgänger: Dénes Várjon
Schon die Romantiker liebten die Nacht. Novalis verfasste Hymnen an die Nacht, und die literarisch feinfühligen Vorreiter der heutigen “Fantasy”, Ludwig Tieck oder E. T. A. Hoffmann, widmeten sich den gespenstischen Tiefen der Dunkelheit. Dénes Várjon geht der Lust am Geheimnis, am Ungewöhnlichen und Randständigen auf dem Feld der Klavierkunst nach. Der ungarische Pianist schlägt gerne Brücken zwischen der romantischen Kompositionskunst des 19. Jahrhunderts und der frühen Avantgarde des 20. Jahrhunderts.
In seinem 2012 erschienenen Solo-Debüt bei ECM New Series interpretierte er Werke von Alban Berg, Leoš Janáček und Franz Liszt und legte den Schwerpunkt auf furiose, sich beschleunigende Klangwelten. Sein neues Album kreist stärker um poetisch schweifende Klavierkunst der Romantik und frühen Moderne. Der Titel seiner soeben in den Handel gekommenen Veröffentlichung, “De la nuit”, kann dabei durchaus als programmatisch gelten. Es geht in die Nacht, ins Dunkle.
“De la nuit”: Ins Dunkle
In Schumanns “Fantasiestücken” (op. 12) seelisch tief empfunden, mit melancholischen Ernst und leidenschaftlicher Emphase, in Ravels “Gaspard de la nuit” in einem flirrenden Ton, mit einer spielerisch-lustvollen Note und ironisch gebrochen, und in Bartóks “Im Freien” schließlich mit der bisweilen kühnen Geste, Licht ins Dunkel zu bringen, das Rätsel der Nacht mit kristallklarer Poesie zu erhellen. Drei Klangwelten also, die durch nächtliche Stimmungen, den musikalischen Reiz des Dunklen miteinander verbunden sind.
Das Album beginnt mit Schumanns Fantasiestücken. Inspiriert von E. T. A. Hoffmanns Erzählband “Fantasiestücke in Callots Manier”, lässt sich der träumerisch geneigte Komponist in dieser Sammlung von Miniaturen von flüchtigen Stimmungen und spontanen Einfällen leiten. Dénes Várjon spielt diese Stücke in äußerst klarer Diktion und erzielt dabei einen erstaunlichen Effekt: Sie nehmen eine meditative, fast schon hypnotische Dimension an. Am eindringlichsten vielleicht in lyrisch angelegten Arbeiten wie “Des Abends” oder “Warum?”.
Improvisatorischer Charakter: Flirrende Erwartungen
Aber auch emotional brodelnde Stücke wie “Aufschwung” oder “In der Nacht” weiß Várjon mit einer eigentümlich suggestiven, geheimnis trächtigen Atmosphäre auszustatten. Distanzierter kommt Ravels “Gaspard de la nuit” daher. Weniger unheimlich gestimmt, dafür umso erwartungsvoller, demonstriert Dénes Várjon mit seiner Interpretation, dass man auch virtuos-verspielt, ironisch, rein ästhetisch in die Nacht eintauchen kann. Höhepunkt: das flirrende “Scarbo”, das Ravel als “Karikatur des Romantizismus” verstanden wissen wollte.
Várjon verleiht dem Stück mit seinem extrem flinken Spiel einen beinahe improvisatorischen Charakter. Virtuose Anforderungen stellt auch der Klavierzyklus “Im Freien” von Béla Bartók. Er ist streckenweise von einer heftig pulsierenden Rhythmik dominiert. Dénes Várjon vermag in den schnellen und leuchtenden Bewegungen dieses Werkes eine Stimmung furchtsamer Unheimlichkeit kenntlich zu machen. Das Dunkle, das Faszinosum der Nacht tritt hier vornehmlich als Kontrast in Erscheinung.         
 

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