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Liebe und Vergänglichkeit

04.01.2006
Es ist eine Freude, Carlos Kleiber dabei zu beobachten, wie er das Orchester der Bayerischen Staatsoper durch die Vorstellungswelt von Richard Strauss leitet. Die Begeisterung für die Musik, die seine Mimik und Gestik ausstrahlen, die emphatische Körperlichkeit, mit der er sich in das klingende Geschehen stürzt, reißt nicht nur die Instrumentalisten mit, sondern macht aus der ganzen Aufführung ein Erlebnis, von dem die Los Angeles Times schlicht meinte: “Das ist die Arbeit eines Meisters!”
Es war eine Art von Rückkehr zum Traditionellen. Mit “Salome” und “Elektra” hatte Richard Strauss die Grenzen des Musiktheaters neu definiert, mit dem “Rosenkavalier” jedoch wandte er sich wieder einer mozartesken, ganz und gar unwagnerianischen Ausdrucksform einer heiteren Oper zu. Unterstützt von seinem kongenialen Librettisten Hugo von Hofmannsthal gestaltete er ein Intrigenspiel mit neobarocker Oberfläche, das allerdings in seinen tieferen Aussagen durchaus auf dem philosophischen Stand seiner Zeit war. Trotzdem war der “Rosenkavalier”, der am 26. Januar 1911 in Dresden uraufgeführt wurde, Ausgangspunkt für zahlreiche ablehnende Äußerungen bis hin zu Otto Klemperers Diktum, der die Musik abschätzig als “Zuckerwasser” bezeichnete. Dabei übersahen sie Kritiker geflissentlich, dass genau darin die eigentliche Provokation bestand. Strauss und Hofmannsthal hatten die Handlung in das Wien von 1740 zurückversetzt. Im Zentrum stand der junge Graf Octavian, der von seinen Leidenschaften getrieben von der Affäre mit der erfahrenen Feldmarschallin in die Liebe zur jungen Sophie stolpert, der aber nach üblichem Procedere zahlreiche gesellschaftliche Grenzen im Wege stehen. Letztlich wird sie nur möglich, weil sich zum einen ein Teil der beteiligten – der Graf Ochs und seine Entourage – als intrigante und erbschleicherische Aristokratenhorde herausstellt und auf der anderen die Feldmarschallin in Reflexion der Vergänglichkeit ihrer Schönheit den jungen Liebhaber in die neue Liaison entlässt. So gibt es zwar ein Happy End, aber doch eines, das erst durch eine Reihe von Regelbrüchen ermöglicht wird.

Dazu kommt die erstaunliche Musik, die Strauss um die Handlung entwickelte. Obwohl sie an manchen Stellen operettenhaft erscheinen vermag, bleibt sie im Kern eine flirrende, energiegeladene Kontastfolie zum vermeintlich burlesk-galanten Bühnengeschehen. Sie ist daher eine Herausforderung für jeden Dirigenten, der sie der drohenden Klischeehaftigkeit entreißen und ihre tatsächliche Kraft in der Vordergrund stellen will. Carlos Kleiber hatte den “Rosenkavalier” bereits 1972 bei der Premiere der Otto Schenk’schen Inszenierung in München dirigiert und er stand auch am Pult der Saison sieben Jahre später, als die vorliegende Aufnahme entstand. Seine Impulsivität auf der einen und Präzision auf der anderen Seite ermöglichten musikalische Feinabstimmungen bis in die komplizierten Partiturdetails und -anweisungen hinein und bot den hervorragenden Solisten die Möglichkeit, sich von der Verve der Klänge tragen zu lassen.

Gweneth Jones zum Beispiel kreierte eine Feldmarschallin, die in ihrer perfekten balancierten Noblesse sowohl Leidenschaft wie Beherrschung verkörpern konnte. Brigitte Fassbaender mimte einen reizend naiven Octavian, dem man wiederum die Überforderung angesichts der aufbrandenden Gefühle glaubhaft abnahm. Lucia Popp präsentierte sich als sinnlich sensible Sophie, die ebenfalls von den Emotionen hin und her geworfen wurde und Manfred Jungwirth schuf einen typisch wienerischen Edelmann, der vor Überheblichkeit nahezu platzte. Dazu kam das naturalistische Bühnenbild, das bis in die Kleinigkeiten hinein die ständischen Zeichen einer feudalen Gesellschaft in die Handlung zu integrieren verstand, so wie auch die Kostüme prächtig wirkten, ohne damit in der Nostalgie zu schwelgen. So waren genügend günstige Voraussetzungen gegeben, um aus einer Aufführung ein zeitloses Meisterwerk zu machen, das nun auf 2DVDs im opulenten, remasterten Surround-Sound (wahlweise PCM Stereo) für alle Opernfreunde zum Genießen bereit steht.

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