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Die Stille lesen – Anja Lechner interpretiert Silvestrov

Anja Lechner, Agnés Vesterman
© Baptiste Lignel / ECM Records
21.09.2017
Es ist ein passender Augenblick. Am 30. September 2017 feiert der ukrainische Komponist Valentin Silvestrov seinen 80. Geburtstag. Da kommt das Album von Anja Lechner, das Werke für ein und zwei Violoncelli des bedeutenden Avantgarde-Komponisten versammelt, gerade recht.

Durch Silvestrov verwandelt: Anja Lechner

Die deutsche Cellistin kam erstmals vor 20 Jahren mit der Musik von Valentin Silvestrov in Berührung. Damals hörte sie eine Schallplattenaufnahme seiner 5. Sinfonie. “Diese Musik hat mich sehr beeindruckt”, so Anja Lechner im Booklet zu ihrem neuen Album, “ich möchte fast sagen, sie hat mich verwandelt, so berührt war ich von diesen zarten, atmenden Klängen und Melodiefragmenten.” Die ebenso starken Kontraste wie flüchtigen Momente seiner Klangsprache ziehen Anja Lechner magisch in Bann.
Sie beginnt sich mit seiner Kunst vertraut zu machen und entdeckt dabei ein völlig “neues Universum der stillen Töne”. Einen Teil dieser Entdeckungsreise legt sie mit dem Komponisten gemeinsam zurück. Nachdem sie sich kennengelernt haben, entsteht ein Verhältnis wechselseitiger Anerkennung. Silvestrov weiß seine Kunst bei Anja Lechner in guten Händen und widmet ihr eigens Werke. Anja Lechner nimmt dies dankbar an und arbeitet mit dem Komponisten eng zusammen an reifen Interpretationen.

Geschätzte Duopartnerin: Agnès Vesterman

Jetzt erscheinen die Früchte dieser freundschaftlichen Kooperation erstmals gebündelt auf einem Album. Für die Duos hat sich Anja Lechner die französische Cellistin Agnès Vesterman ins Boot geholt, mit der sie hervorragend harmoniert und die hohe Wertschätzung für Silvestrovs Musik teilt. Mit Vesterman bestreitet sie auch den Auftakt des neuen Albums, das titelgebende Stück “Hieroglyphen der Nacht” (2002/2009). Es entstammt einer Sammlung von “Drei Stücken” für zwei Violoncelli, die Silvestrov den beiden Streicherinnen gemeinsam gewidmet hat.
“Hieroglyphen der Nacht” kann in vielerlei Hinsicht als programmatisch für das Album gelten. Das Stück entfaltet eine geheimnisvoll dunkle Atmosphäre, die zwischen bedrohlichen und erleichternden Momenten schwankt, mit beiden Dimensionen jedoch eine eigentümlich sogafte Kraft ausübt. Es ist, als zögen höchst unterschiedliche Traumepisoden am Hörer vorbei. Mal wird man durch die tiefen Töne der Celli hinabgezogen in eine spannungsvoll geladene, bedrohliche Stimmung.

Die Stille lesen: Hieroglyphen der Nacht

Dann löst sich die Spannung plötzlich auf und das bedrohliche Dunkel der Nacht nimmt eine geborgene Gestalt an. Die Nacht ist eine Reise ins Unbekannte. Unsere Träume sind nicht kalkulierbar, und alles Unkalkulierbare behält eine bedrohliche Dimension. Zugleich heißt Nacht jedoch Stille, Geborgenheit. In der Nacht, im Traum kommt man zur Ruhe.
Das rätselhaft Bedrohliche und das stille Geborgene finden in Silvestrovs Stück, das in den Hieroglyphen der Nacht liest, zueinander. In den “Augenblicken der Stille und Traurigkeit” (2003), einer Komposition für Cello solo, die Anja Lechner gewidmet ist, tritt noch eine dritte Dimension hinzu, die sich durch das ganze Album zieht: die elegische Stimmung, melancholische Melodien, die von verletzlichen Erinnerungen zeugen.
Anja Lechner versteht es, schnell umzuschalten von scharf umrissenen, einsam anmutenden Klangfragmenten zu sanften, melancholischen Fließbewegungen, die romantische Sehnsüchte wecken. Das beweist ihr kontrastreiches Spiel von “Augenblicken der Stille und Traurigkeit” ebenso eindrücklich wie ihre hochpräsente Interpretation zahlreicher weiterer Silvestrov-Werke auf ihrem neuen Album.      

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